10. Dezember 2021

 

Der „Ausrutscher“ des OLG Celle - Zum Beschluss des OLG Celle, v. 6.10.2021 - 9 W 99/21, ZIP 2021, 2485

 

- von Prof. Dr. Lars Leuschner -

 

Im vorangegangenen Blogeintrag vom 20. September 2021 habe ich davon berichtet, dass einer niedersächsischen Dorfkneipe die Eintragung im Vereinsregister verwehrt wurde. Zugleich sprach ich von einer Chance, dass das OLG Celle nunmehr im Beschwerdeverfahren die Dinge zurechtrücken und klarstellen könnte, dass auf Grundlage der durch die Kita-Rechtsprechung des BGH erfolgten Neuausrichtung der Vereinsklassenabgrenzung auch Initiativen wie die streitgegenständliche eintragungsfähig sind.

 

Denkste! Das OLG Celle hat in einem in vielerlei Hinsicht bemerkenswerten Beschluss die Auffassung des Registergerichts bestätigt und die Eintragungsfähigkeit der Dorfkneipe verneint (OLG Celle, vom 6. Oktober 2021 - 9 W 99/21, ZIP 2021, 2485). Bei einer Gastwirtschaft, die „hauptsächlich dem Konsum von (alkoholischen und nicht alkoholischen) Getränken dient“, handele es sich geradezu um den „Paradefall eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs i.S. des § 22 BGB.“ Weil der Verein nicht gemeinnützig ist, ging der Senat davon aus, sich mit seiner Entscheidung auf Grundlage der Kita-Rechtsprechung zu bewegen bzw. sich zumindest nicht damit in Widerspruch zu setzen.

 

Wenn man den Beschluss des OLG Celle etwas Positives abgewinnen möchte, dann den Umstand, dass die Richter sehr schnell entschieden haben: Zwischen dem Eingang der Beschwerdebegründung vom 21. September 2021 und der Entscheidung vom 6. Oktober 2021 lagen gerade einmal zwei Wochen. Damit sind wir dann aber auch schon beim Problem: Grund für die rekordverdächtige Bearbeitungszeit dürfte weniger der besondere Fleiß der Richter als vielmehr ihr „methodischer“ Ansatz gewesen sein, eine Entscheidung zu treffen, ohne sich mit der zugrunde liegenden Rechtsfrage auch nur im Ansatz ernsthaft auseinanderzusetzen. Dass der Senat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat, obwohl der Beschluss im Widerspruch zur ganz herrschenden Lehre sowie dem explizit geäußerten Willen des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages steht, passt insoweit ins Bild: Weil das FamFG keine Nichtzulassungsbeschwerde vorsieht, können die Richter damit rechnen, die Angelegenheit gewissermaßen per „kurzem Prozess“ ein für alle Mal erledigt zu haben.

 

Weil ich als Prozessbevollmächtigter des streitgegenständlichen Vereins befangen bin, möchte ich an dieser Stelle zunächst auf einen aktuellen Besprechungsaufsatz von Rainer Hüttemann aus der ZIP 2021, 2524 verweisen. Dieser bezeichnet die  Entscheidung als „Ausrutscher“, der weder im Ergebnis noch in der „für ein Obergericht unangenehm oberflächlichen Argumentation“ überzeugen könne (a.a.O S. 2526). Der Beschluss lasse den „mit dem Vereinsrecht vertrauten Leser ratlos zurück, da eine vertiefte inhaltliche Auseinandersetzung mit der neueren BGH-Rechtsprechung und Literatur fehlt“ (a.a.O S. 2525). Die Ausführungen des Senats zeigten deutlich, dass er die „zentrale Aussage der Kita-Beschlüsse übersehen hat.“ Ebenso hätten die Richter übersehen, „dass der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages in seinem Bericht und seiner Beschlussempfehlung zum ‚Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung unternehmerischer Initiativen aus bürgerschaftlichem Engagement und zum Bürokratieabbau bei Genossenschaften‘ vom 28.6.2017 ausdrücklich das genaue Gegenteil vertreten hat“ (a.a.O S. 2525).

 

Ich war selbst Richter und bin der Meinung, dass dieser Berufsstand höchsten Respekt verdient. Aber vor berechtigter Kritik schützt das nicht. Und so muss ich in aller Deutlichkeit sagen: Die Entscheidung des OLG Celle ist ein Schlag in das Gesicht all derjenigen, die sich mit Leidenschaft für die Entwicklung des Rechts im Allgemeinen sowie das Vereinsrecht im besonderen engagieren (ich selbst nehme das für mich in Anspruch, habe ich mich doch seinerzeit u.a. als Experte im Rechtsausschuss vehement für die erwähnte Positionierung eingesetzt). Dabei geht es nicht um das Ergebnis (bis zu den Kita-Beschlüssen des BGH im Jahr 2017 entsprach die Qualifikation einer Dorfkneipe als Wirtschaftsverein der ganz herrschenden Meinung), sondern die in der Entscheidungsbegründung zum Ausdruck kommende tadelnswerte  Kenntnislosigkeit: Wie der Senat für die Entscheidung zentrale Aspekte übersehen konnte, obwohl ihm diese in der nicht übermäßig umfangreichen und bewusst auch für den flüchtigen Leser konzipierten Beschwerdeschrift „auf dem Silbertablett“ gereicht wurden, erschließt sich mir nicht. Das gilt vor allem für die erwähnte, in höchstem Maße einschlägige Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, die in der Beschwerdeschrift im Wortlaut unter Hervorhebung der einschlägigen Aussagen abgedruckt war.

 

Gegen die Entscheidung des OLG Celle ist die Verfassungsbeschwerde eingelegt worden. Nach den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts, wonach das Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt ist, wenn das Beschwerdegericht das Rechtsmittel nicht zugelassen hat, obwohl die Zulassung objektiv nahelag und keine die Nichtzulassung rechtfertigenden Gründe zu erkennen sind, erscheinen die Erfolgsaussichten nicht eben gering (so auch Hüttemann ZIP 2021, 2524, 2526). Da die Karlsruher Richter gerade in Corona-Zeiten extrem belastet sind und möglicherweise über wichtigere Dinge als die Eintragungsfähigkeit von Dorfkneipen zu entscheiden haben, dürften die Chancen der Celler Richter, mit ihrem „methodischen“ Ansatz ungeschoren davonzukommen, gleichwohl größer sein.

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