21. Januar 2021

 

Zahlungen nach Insolvenzreife erlaubt!

 

Im Jahr 2010 hat der Bundesgerichtshof in zwei Beschlüssen entschieden, dass die für Kapitalgesellschaften und die Genossenschaft in den § 64 S. 1 GmbHG, § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG iVm § 92 Abs. 2 S. 1 AktG und § 34 Abs. 3 Nr. 4 GenG iVm § 99 S. 1 GenG (a.F.) vorgesehene Haftung für masseschmälernde Zahlungen auf den Verein keine analoge Anwendung findet (BGH NZG 2010, 625; NZG 2010, 711). Dem zugrunde lag die Überlegung, dass es mit Blick auf die normtypische Ehrenamtlichkeit der Vereinsvorstände unangemessen wäre, diese einer derart scharfen Haftung auszusetzen (K. Schmidt NZG 2015, 129: „haftungsrechtlicher Kampfhund“). Davon zu unterscheiden war jedoch die Frage, ob das der Haftung zugrundeliegende Zahlungsverbot für die Vorstandsmitglieder des Vereins gilt. Da auch die Gläubiger von Vereinen auf das Vereinsvermögen angewiesen sind, sprach unter systematischen Gesichtspunkten viel dafür, die Frage zu bejahen (ausführlich Leuschner ZHR 175 (2011), 787, 800 ff.). Verbotswidrige Zahlungen hätten hiernach zu einer Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB führen können. Diese ist im Vergleich zu der Haftung aufgrund der §§ 64 S. 1 GmbHG usw. deutlich „sanfter“, da sie nicht eine uneingeschränkte Pflicht zur Erstattung sämtlicher Zahlungen erfasst, sondern die Ersatzpflicht an den Eintritt eines Gesamtgläubigerschadens knüpft.

 

Aufgrund der am 1.1.2021 in Kraft getretenen Änderungen durch das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) ist die Rechtslage nunmehr aber eine andere. Die spezialgesetzlichen Verbots- und Haftungstatbestände des Kapitalgesellschafts- und Genossenschaftsrechts wurden gestrichen und rechtsformunabhängig in § 15b InsO zusammengeführt. Dabei wird der Adressatenkreis des in § 15b Abs. 1 S. 1 InsO enthaltenen Zahlungsverbots unter Hinweis auf die „in § 15a Absatz 1 Satz 1 genannten Mitglieder des Vertretungsorgans und Abwickler einer juristischen Person“ bestimmt. Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 19/24181, S. 194) soll dadurch der Anwendungsbereich des Zahlungsverbots auf diejenigen Rechtsformen beschränkt werden, für die auch die Insolvenzantragspflicht gemäß § 15 Abs. 1 InsO gilt. Der Verein ist hiervon gemäß § 15a Abs. 7 InsO ausgenommen. Angesichts dieser (mehr oder minder) bewussten Entscheidung des Gesetzgebers muss man davon ausgehen, dass den Organmitgliedern von Vereinen masseschmälernde Zahlungen nach Insolvenzeintritt erlaubt sind. Eine auf § 823 Abs. 2 BGB gestützte Haftung wegen solcher Zahlungen scheidet folglich aus (unberührt bleibt eine mögliche Haftung wegen Insolvenzverschleppung).

 

Rechtspolitisch ist diese Lösung Zweifeln ausgesetzt. Ungeachtet aller Sympathie für die Privilegierung der überwiegend ehrenamtlich tätigen Vereinsvorstände erscheint die Zulässigkeit masseschmälernder Zahlungen mit den Interessen der auf das Vereinsvermögen angewiesen Gläubiger kaum vereinbar. Sie bedeutet nicht nur, dass zukünftig Vereinsvorstände einzelne Gläubiger in der Phase zwischen Insolvenzeintritt und Eröffnung des Insolvenzverfahrens beliebig bevorzugen können (die Regelungen über die Insolvenzanfechtung kompensieren das nur partiell). Darüber hinaus ist es den Vereinsvorständen auch möglich, den Vereinszweck in diesem Zeitraum unverändert fortzuführen. Gerade im Fall von Vereinen, die zur Zweckverfolgung einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb unterhalten, erscheint dies sehr problematisch.

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