20. Dezember 2023 

Wie gehen wir mit Stimmenthaltungen um? – Nachlese zum Beschluss der DFL e.V. vom 11. Dezember 2023

- von Prof. Dr. Lars Leuschner -

Viele interessante Rechtsfragen wurden im Zusammenhang mit dem DFL vom 11. Dezember 2023 über einen möglichen Investoren-Einstieg diskutiert. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob der Beschluss eventuell angreifbar ist, weil er mutmaßlich auf der weisungswidrig abgegebenen Stimme von Martin Kind für die Hannover 96 GmbH & Co. KGaA beruht (https://www.kicker.de/das-96-problem-investoren-beschluss-nicht-anfechtbar-984310/artikel).

 

Überraschenderweise nicht erörtert wurde, ob die zwei Stimmenthaltungen – wie allgemein angenommen –  zu Recht berücksichtigt und damit der Sache nach als Nein-Stimmen gewertet wurden.

 

Beschlussergebnis: 24 Ja-Stimmen / 2  Enthaltungen / 10-Nein-Stimmen.

 

Die allgemeine Regel im Vereins- und Gesellschaftsrecht besagt, dass Stimmenthaltungen unberücksichtigt bleiben (grundlegend BGH NJW 1982, 1585). Maßgebliche Bezugsgröße für die Beschlussfeststellung ist hiernach die Summe aus Ja-Stimmen und Nein-Stimmen. Legt man das zugrunde, wäre im Fall der DFL-Abstimmung aufgrund der zwei Enthaltungen die maßgebliche Bezugsgröße 34 gewesen und es hätten folglich 23 Ja-Stimmen für das Erreichen der 2/3-Mehrheit genügt (2/3 von 34 = 22,66). Martin Kinds Stimmabgabe wäre dann keinesfalls ursächlich gewesen.

Gemäß § 40  S. 1 BGB kann die Satzung eines Vereins indes vom Gesetz und somit auch von den geschilderten Grundsätzen abweichen. Maßgeblich ist insoweit der Blick in die Satzung der „DFL Deutsche Fußball Liga e.V.“ Einschlägig sind insoweit in § 27 enthaltenen Abstimmungsregeln: 

 

§ 27

Abstimmungsregelungen

1. Beschlussfähig ist jede ordnungsgemäß berufene Mitgliederversammlung, wenn bei Feststellung der Stimmberechtigten mindestens die Hälfte der Mitglieder des DFL e.V. anwesend ist.

2. Zur wirksamen Beschlussfassung genügt die einfache Mehrheit der gültig abgegebenen Stimmen. Stimmenthaltungen werden nicht mitgezählt.

3. Zur Beschlussfassung über die Satzung, die Lizenzierungsordnung des Ligastatuts und deren Änderungen ist eine Zweidrittelmehrheit der gültig abgegebenen Stimmen erforderlich.

4. Zur Kündigung des Grundlagenvertrages mit dem DFB bedarf es einer Dreiviertelmehrheit aller Mitglieder des DFL e.V.

5. Zur Änderung des Zwecks des DFL e.V. (§ 4) sowie zum Abschluss von Tarifverträgen und sonstigen Sozialpartnervereinbarungen bedarf es der Zustimmung aller Mitglieder.

6. Bei der Beschlussfassung über Angelegenheiten, für die eine qualifizierte Mehrheit erforderlich ist, gelten ungültige Stimmzettel als abgegebene Stimmen.

7. …

 

Die Regelungen sind alles andere als eindeutig und bedürfen daher der Auslegung:

 

1) Man beginnt sinnvollerweise bei dem speziell für das 2/3-Erfordernis maßgeblichen Absatz 3. Dessen Wortlaut entspricht im Wesentlichen dem Wortlaut, den auch das Gesetz in §§ 32 Abs. 1 S. 3, 33 Abs. 1 S. BGB, 133 Abs. 1 AktG, 47 Abs. 1 GmbHG usw. verwendet („der abgegebenen Stimmen“). Wenn das Gesetz mit „abgegebenen Stimmen“ nur die Ja- und die Nein-Stimmen meint, spricht dies dafür, dass auch § 27 Abs. 3 der DFL-Satzung so zu verstehen ist.

 

2) Zweifel sät indes der Blick in den die einfache Mehrheit betreffenden Absatz 2. Die in dessen Satz 2 enthaltene Anordnung, dass Stimmenthaltungen nicht zu berücksichtigen sind, könnte vor dem Hintergrund, dass eine entsprechende Anordnung in Absatz 3 fehlt, einen Umkehrschluss rechtfertigen: Bei der Ermittlung der 2/3-Mehrheit wären Stimmabgaben hiernach eben doch zu berücksichtigen. Klar ist dieses Ergebnis aber nicht. Weil die Nichtberücksichtigung von Stimmenthaltungen die Regel ist, ist Absatz 2 Satz 2 in seinem unmittelbaren Regelungskontext (einfache Mehrheit) rein deklaratorisch. Einer solchen Regelung jenseits ihres unmittelbaren Regelungskontextes (2/3-Mehrheit) im Wege des Umkehrschlusses konstitutive Wirkung zuzumessen, fällt nicht leicht.

 

3) Den Ausschlag gibt meines Erachtens letztlich Absatz 6, der anordnet, dass im Fall der qualifizierten Mehrheit sogar „ungültige Stimmzettel“ berücksichtigt werden sollen. Auch wenn die Regelung insoweit im Widerspruch zu Absatz 3 steht, als diese ausdrücklich von „gültig“ abgegebenen Stimmen spricht (offensichtlich ein Versehen), erscheint die Tendenz doch eindeutig: Der Satzungsgeber hat sich über die maßgebliche Bezugsgröße offenbar bewusst Gedanken gemacht und wollte im Zusammenhang mit den qualifizierten Mehrheitserfordernissen besondere, höhere Anforderungen statuieren, um sicherzustellen, dass entsprechende Beschlüsse nicht mit einer vergleichsweise geringen absoluten Anzahl  von Ja-Stimmen gefasst werden. Oder anders gewendet: Sollen hiernach explizit auch ungültige Stimmen mitgezählt und somit Nein- Stimmen gleichgestellt werden, spricht alles dafür, dass entsprechendes auch für Stimmenthaltungen gilt. Absatz 6 spricht folglich für einen Umkehrschluss aus Absatz 2 Satz 2.

 

Lange Rede kurzer Sinn: Das wohl von der DFL selbst zugrundegelegte Verständnis, wonach bei Beschlüssen, die dem 2/3-Mehrheitserfordernis unterfallen, die Enthaltungen zu berücksichtigen und damit faktisch wie Nein-Stimmen zu werten sind, erweist sich trotz verbleibender Restzweifel als überzeugend.

 

Last but not least: Die Erkenntnis, dass im Zusammenhang mit dem 2/3-Mehrheitserfordernis auch Enthaltungen als Nein-Stimmen zu werten sind, verstärkt den Eindruck, dass es seitens der DFL ein fataler Fehler war, den Beschluss über den Investoren-Einstieg ohne rechtliche Notwendigkeit diesem Mehrheitserfordernis zu unterwerfen. Für den deutschen Fußball könnte dies nachhaltige Auswirkungen haben, wenn – wie zu erwarten ist – für die finale Entscheidung über den Investoren-Einstieg die 2/3-Mehrheit verfehlt wird (oder die Investoren – was nachvollziehbar wäre – das Interesse an weiteren Verhandlungen verlieren). Für die Gegner des Investoreneinstiegs ist das eine gute Nachricht.

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