24. Juli 2023

Die fehlende Individualmitgliedschaft in den Europäischen Parteien

- von wiss. Mit. Tim Wöffen, LL.M. -

Die nächste Europawahl steht im Juni 2024 bevor. Bei der letzten Europawahl 2019 wiesen die Wahlzettel in Deutschland lediglich die Namen der deutschen Parteien aus, obwohl das europäische Recht es auch gestatten würde, zusätzlich die mit diesen verbundenen Europäischen Parteien zu nennen (Beschluss des Rates 994/2018/, Art. 3b). Die Europäischen Parteien haben 2014 ein eigenes Statut erhalten und genießen danach „Europäische Rechtspersönlichkeit“ durch Eintragung in das europäische Parteienregister (Art. 12 EU-Verordnung Nr. 1141/2014).

 

Die europäische Rechtspersönlichkeit soll eine Anerkennung und Handlungsfähigkeit in allen Mitgliedsstaaten ermöglichen (Art. 13). Dennoch bleiben die Europäischen Parteien zu ihrer zivilrechtlichen Handlungsfähigkeit zusätzlich auf eine nationale Vereins-Rechtsform angewiesen. Die meisten Europäischen Parteien haben eine der zwei belgischen Vereins-Rechtsformen (ASBL oder AISBL) und ihren Sitz in Brüssel gewählt. Daneben existiert noch eine Europäische Partei mit Sitz in Paris als Verein nach französischem Recht (die rechtsgerichtete ID-Parti) und eine als niederländischer Verein (die Europäische Christliche Politische Bewegung ECPM).

 

Die Binnenorganisation der Europäischen Parteien ist unterschiedlich ausgestaltet, auch weil die europäische Verordnung nur geringe Vorgaben diesbezüglich macht. Überwiegend handelt es sich bei den Europäischen Parteien um „Vereinsverbände“ (=Dachverbände) der verschiedenen nationalen Mitglieds-Parteien. Mit anderen Worten: Die Mitglieder der Europäischen Parteien sind lediglich die nationalen Parteien, nicht deren individuelle Mitglieder. Eine zwingende Vorgabe auch individuelle Mitglieder zuzulassen, gibt es bisher nicht; auch gibt es keine konkreten Vorgaben innerparteilicher Demokratie (Morlok/Merten, Parteienrecht, 2018, § 22 S. 254 ff.).

 

Nur drei Parteien, darunter die liberale ALDE und die europäische Linke, ermöglichen bereits eine Individualmitgliedschaft. Sofern damit auch eine automatische Mitgliedschaft in der jeweiligen nationalen Partei verbunden wäre, folgten sie damit der für deutsche Parteien typischen Organisationsart als Gesamtvereine. Deutsche Parteien müssen eine Individualmitgliedschaft ermöglichen, was bereits aus der Legaldefinition in § 1 PartG folgt („Parteien sind Vereinigungen von Bürgern…“). Im Innern genießen die deutschen Parteien weitgehende Organisationsfreiheit (Morlok/Merten, Parteienrecht, 2018, § 9 S. 84), sofern das Gebot der innerparteilichen Demokratie (Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG) dahingehend gewahrt wird, dass den einzelnen Mitgliedern eine angemessene Mitwirkung an der Willensbildung der Partei ermöglicht wird (vgl. § 7 Abs. 1 S. 2 PartG). Die Binnenorganisation ist zielführend meist entsprechend der relevanten Wahlgebiete gegliedert in Bundes-, Landes-, Kreis-, Stadt- und Ortsverbände, in denen die Parteimitglieder Mehrfachmitgliedschaft genießen.

 

Die Möglichkeit der Individualmitgliedschaft sollte aus meiner Sicht langfristig auch für Europäische Parteien die Regel und nicht die Ausnahme darstellen. Denn die Europäischen Parteien haben den Auftrag, zur „Herausbildung eines europäischen politischen Bewusstseins“ beizutragen (Art. 10 EUV). Bewusstseinsträger sind nun einmal natürliche Personen. Ihnen sollte der Weg in die Europäischen Parteien geebnet werden.

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Kommentare

  • Tim Wöffen (Mittwoch, 06. September 2023 17:51)

    Noch zwei Punkte als Nachtrag:
    1) Auch die ALDE nimmt nunmehr keine individuellen Mitglieder mehr auf, sondern hat ihre individuellen Mitglieder auf eine andere Organisation ausgegliedert, die mir auf Nachfrage namentlich bislang noch nicht genannt wurde.
    2) Wer sich für die Entwicklung der europäischen Parteien und die unterschiedlichen Organisationsmodelle interessiert, wird fündig in dem Aufsatz von Fiene Kohn "Paneuropäische politische Parteien: Modellierung, Vorzüge und rechtliche Förderung" in der Zeitschrift für Parlamentsfragen (ZParl), Heft 3/2022, S. 633–651.

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