Der 10. Vereinsrechtstag findet am 28. März 2025 statt!
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12. Februar 2023

 

Ermöglichung einer rein virtuellen Mitgliederversammlung durch einfachen Beschluss (§ 32 Abs. 2 Satz 2 BGB n.F.) – Was ist das?

 

- von Prof. Dr. Lars Leuschner -

 

Am 9. Februar hat der Bundestag das „Gesetz zur Ermöglichung digitaler Mitgliederversammlungen im Vereinsrecht“ beschlossen. Hiernach kann der Vorstand zukünftig entscheiden, ob die Mitgliederversammlung (rein) präsent oder hybrid abgehalten wird (§ 32 Abs. 2 Satz 1 BGB n.F.). Diskussionen ausgelöst hat vor allem der auf Vorschlag des Rechtsausschusses aufgenommene § 32 Abs. 2 Satz 2 BGB n.F., wonach die Mitgliederversammlung beschließen kann, dass künftige Versammlungen auch als (rein) virtuelle Versammlungen einberufen werden dürfen. Aus der Begründung ergibt sich, dass ein entsprechender Beschluss mit einfacher Mehrheit gefasst werden kann.

 

Bei der „50+x%-Lösung“ des § 32 Abs. 2 Satz 2 BGB n.F. handelt es sich offenbar um einen Kompromiss zwischen dem ursprünglichen Entwurf, der für die Ermöglichung der rein virtuellen Versammlung eine Satzungsänderung verlangte („75%-Lösung“), und dem von mehreren Experten unterstützen Vorschlag des Bündnisses für Gemeinnützigkeit, in Fortführung der Covid-Sonderregelungen auf ein Mitwirkungserfordernis der Mitglieder zu verzichten („0%-Lösung“). Wie so häufig bleiben systematische Überlegungen bei solchen Kompromissen auf der Strecke: Die Verfassung einer Körperschaft kann grundsätzlich nur im Wege der Satzungsänderung und somit unter Einhaltung der Satzungsänderungsregelungen modifiziert werden (zum Begriff der „Verfassung“ MüKoBGB/Leuschner, 9. Aufl. 2021, BGB § 25 Rn. 2). Die Neuregelung weicht davon ab, in dem sie es ermöglicht, von der gesetzlichen Regelung, wonach Mitgliederversammlungen präsent oder hybrid abzuhalten sind, durch einfachen Beschluss abzuweichen. In Anlehnung an den vor allem im GmbH-Recht verwandten Begriff der stautarischen Öffnungsklausel mag man insoweit von einer „gesetzlichen Öffnungsklausel“ sprechen. Das sollte aber nicht zu dem Missverständnis führen, bei dem auf Grundlage von § 32 Abs. 2 Satz 2 BGB n.F. gefassten Beschluss handele es sich um keine Satzungsänderung (in diesem Sinn aber unzutreffender Weise die h.M. bei der Bewertung statuarischer Öffnungsklauseln, ausführlich Leuschner ZHR 184 (2020), 606 ff.). Da vor der Beschlussfassung die Verfassung des Vereins die präsente oder hybride Abhaltung der Mitgliederversammlung verlangt, nach der Beschlussfassung auch eine rein virtuelle Versammlung möglich ist, bewirkt der Beschluss sehr wohl eine Änderung der Verfassung und hat daher die Qualität einer materiellen Satzungsänderung (nicht formell, da außerhalb der Satzungsurkunde; näher MüKoBGB/Leuschner, 9. Aufl. 2021, BGB § 25 Rn. 4 ff.). § 32 Abs. 2 Satz 2 BGB n.F.  ändert folglich nichts an der Notwendigkeit einer Satzungsänderung, sondern bewirkt lediglich, dass diese ohne Einhaltung der Satzungsänderungsregelungen der §§ 33 Abs. 1 S. 2, 1. Hs. 71 Abs. 1 S. 1 BGB, d.h. ohne Einhaltung des qualifizierten Mehrheits- sowie des Eintragungserfordernisses möglich ist.  

 

Ein Systembruch ist indes nicht zwingend schlecht. Das einfache Mehrheitserfordernis ist zu begrüßen, verhindert es doch, dass Bedenkenträger sich allzu leicht dem Fortschritt entgegen stellen können. Ob der Verzicht auf das Eintragungserfordernis  in der Praxis negative Auswirkungen haben wird, ist schwer abzuschätzen. Das Prinzip, wonach im Recht der Körperschaften Satzungsänderungen der konstitutiven Eintragung in einem Register bedürfen, will sicherstellen, dass sich aktuelle Mitglied und zukünftige Mitglieder (das Wesen der Körperschaften besteht darin, dass sie auf Fluktuation ausgerichtet ist) rechtssicher über den maßgeblichen Stand der „wichtigsten Spielregeln“ informieren können. Kann die Verfassung wie im Fall des § 32 Abs. 2 Satz 2 BGB n.F. außerhalb des Registers geändert werden, ist das nicht gewährleistet. Um den Schutz zukünftiger Mitglieder wird man sich zwar weniger Sorgen machen müssen. Die Vorstellung, dass diese sich vor ihrem Beitritt durch Blick in die Registerakte über die Verfassung  informieren, dürfte ohnehin kaum der Realität entsprechen. Nicht ganz unberechtigt erscheint aber die Sorge, dass es zukünftig in dem einen oder anderen Verein einmal zum Streit darüber kommt, ob ein Beschluss im Sinne des § 32 Abs. 2 Satz 2 BGB n.F. gefasst bzw. im Wege des actus contarius wieder kassiert wurde. Denn eine rechtssichere Dokumentation einfacher Beschlüsse findet nicht statt.

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